30 Jahre für den Yoga –
Was ich erreicht habe, ist auch für andere möglich!
Autorin: Gabriela Huber in Yoga – Das Magazin, April 2012
Forschergeist, Kreativität, Innovation – das und noch viel mehr zeichnet Gertrud Hirschi aus. Auch nach drei Jahrzehnten intensivem Yoga ist die quirlige Frau immer noch voller Elan bei der Sache. Dabei fiel ihr der Erfolg keineswegs in den Schoss.
Am 21. April 1982 begann alles mit einem teuer gemieteten Raum: Gertrud Hirschi gab ihre erste Yogalektion. Sie war extrem nervös. Ein Jahr später hatte sie gerade mal noch eine Teilnehmerin. Innerlich war sie bereits darauf vorbereitet, den Kurs aufzulösen, die Mietkosten waren viel zu hoch und das war wohl das Ende. Bevor Hirschi ihren Entschluss verkünden konnte, meinte die Teilnehmerin: „Ich war zwar die Einzige heute Abend, aber 90 Kinder profitieren davon!“ Sie leitete ein Kinderheim. Für die Yogalehrerin war klar, so konnte sie nicht aufhören, sie musste weitermachen – und der Kurs füllte sich fortan.
Für Gertrud Hirschi war der Yogaunterricht nie nur ein Hobby. Obwohl sie zu Beginn neben dem Yoga immer noch einem Brotjob nachging, vertrat sie schon damals klar die Meinung, dass auch die Arbeit mit dem Yoga entlöhnt werden sollte. Mit dieser Ansicht gehörte sie zu jener Zeit einer Minderheit an. Viele vertraten die Meinung, dass der Yoga nur dann wirkt, wenn er auch gratis oder höchsten für eine Spende weitervermittelt wird. Im Ursprungsland des Yoga verlangte der Guru auch nichts – man gab das, was für den Einzelnen möglich war. „Geld bedeutet für mich heute eine Möglichkeit, es am richtigen Ort einzusetzen. Dort, wo es wirklich gebraucht wird“, ist Gertrud überzeugt. So unterstützt sie tatkräftig einige Hilfsprojekte.
Wie kam sie selbst zum Yoga? Vor über 30 Jahren waren yogische Praktiken suspekt, die mannigfaltigen Wirkungen waren nur wenigen bekannt. Hirschi hatte gesundheitliche Probleme. Asthma und Allergien machten ihr zu schaffen und beeinflussten ihre Stimmungen. Sie hätte immer mehr Medikamente einnehmen sollen – allein schon diese Tatsache wollte sie nicht schlucken. Ebensowenig wie die Aussicht auf ein künftiges Leben mit immer massiveren Einschränkungen. Eine Arbeitskollegin motivierte sie dann, versuchsweise Yoga-Unterricht bei Selvarjan Yesudian zu besuchen. Sie übten neben den bekannten Asanas auch Murcha Pranayama – und das erzeugte bei der Adeptin angenehme bewusstseinserweiternde Zustände. Körperlich wurde sie zunehmend beweglicher, all das faszinierte sie. „Yesudian konnte die Menschen unglaublich gut motivieren, es kamen damals viele Künstler in seinen Unterricht, die an Lampenfieber litten“, erklärt sie. Ebenso lernte sie von ihm, dass Willensstärke nicht gottgegeben ist, sondern aufgebaut werden kann. „Ihr wisst alles, ich mache euch höchsten jede Woche etwas von diesem in euch schlummernden Allwissen bewusst“, soll der charismatische Lehrer wiederholt geäussert haben. Für Hirschi war diese Erkenntnis damals bahnbrechend! Asana und Pranayama wurden ergänzt durch mentales Training, den Gedanken wurde eine positive Ausrichtung gegeben. Noch heute ist sie davon überzeugt und gibt diesen Impuls ihren Kursteilnehmenden weiter: „Wir denken ständig, warum also sollen wir nicht üben, an etwas zu denken, was uns gut tut?“
Sie wollte mehr über Yoga wissen, aber die Ausbildungsmöglichkeiten waren spärlich. So musste man sich selbst organisieren. Neben dem Unterricht bei Yesudian in Zürich, an einer Yogalehrer-Ausbildungsschule in Basel und beim BDY (Berufsverband deutscher Yogalehrenden), bildete sich Gertrud auch in Indien und Deutschland ständig weiter. Schon bald realisierte sie aber, dass die Schweizer Kursteilnehmenden ganz andere Grundvoraussetzungen mitbrachten als die Inder. Hier traf man auf gestresste Yogainteressierte mit Rückenbeschwerden und kaum jemand konnte locker und entspannt am Boden sitzen. Hirschi absolvierte zusätzlich eine Rückenschule- Ausbildung und integrierte diese Erkenntnisse in ihren Yogaunterricht. Auch wenn daraufhin einige traditionell unterrichtenden Yogis ihren Stil als „unyogisch“ deklassierten – der Erfolg gab ihr Recht. „Als ich vor Jahren in Dehli in einer traditionellen Yogaklasse war, informierte ich den Yogalehrer, er müsse nicht auf mich schauen, da ich die Übungen auf meine Art durchführen werde“, erzählt sie. Sie habe sich dann in den Hintergrund verzogen und eigenständig die Übungen angepasst. Am Schluss habe der Guru sie abgefangen. Er wollte alles über ihre Übungspraxis wissen. Nach dem Gespräch lud er sie ein, ihm und einigen anderen Yogalehrenden in einem Wochenendworkshop ihren rückengerechten Yogastil weiterzuvermitteln.
Wer nun meint, dass Gertrud Hirschi den indischen Yogagurus ehrfurchtsvoll ihr kostbares Wissen gratis weitergab, der täuscht sich gewaltig – die zierliche Frau verlangte als Gegenleistung zielgerichtet die Unterstützung eines dortigen Hilfsprojekts! So kam es im Umfeld der Schweizerin dazu, dass bereits vor vielen Jahren indische Gurus in Berührung kamen mit der bei uns bekannten Rückenschule. In der Folge verbanden sie dieses Wissen ebenfalls mit ihren Erkenntnissen: Yoga heisst „verbinden“ und bestimmt profitieren auch in Indien Yogapraktizierende davon!
Eines der Markenzeichen der furchtlosen Yogini ist ihr Forschergeist. Dieser inspiriert sie immer wieder, der Sache auf den Grund zu gehen. Sie glaubt nicht einfach, was man ihr über den Yoga, seine Hintergründe und seine Wirkungsweise erzählte, sie möchte es selbst auf die Praxistauglichkeit prüfen. Zu einer Zeit, als noch niemand von Handmudras etwas wissen wollte, wurde sie darauf aufmerksam. Sie konzipierte ein Buch, das auch von einem Verlag gedruckt wurde. Aber – keiner interessierte sich für dieses Buch. Für Hirschi war das natürlich enttäuschend, die Arbeit war intensiv und sie war von der Sache überzeugt. „In einem etwas einseitigen Streitgespräch mit Mary, der Mutter Gottes“ wie Gertrud sich ausdrückt, „habe ich dann einen Blick gegen den Himmel gesandt und mich schon etwas vorwurfsvoll über diesen Misserfolg beklagt“. Mit ihren katholischen Wurzeln sind ihr Gespräche mit Gott oder Maria vertraut. Einen Monat später veröffentlichte die deutsche Zeitschrift „Bunte“ ein Interview mit dem Popstar Madonna. Darin plädierte die eigenwillige Sängerin mit Begeisterung für die unglaubliche Wirkung der indischen Handmudras. Am Schluss des Artikels wurde auf das Buch der Schweizerin hingewiesen! Im folgenden Jahr war die Buchautorin in sämtlichen Talkshows begehrter Gast und gelangte zu einem Bekanntheitsgrad, den sie sich nie erträumt hätte. Dass das Gespräch mit „Mary“ solche Folgen haben würde, verblüfft sie noch heute, passt aber zu ihrem Lebenslauf.
Ihre Autorinnentätigkeit wurde eines ihrer yogischen Standbeine, ihre Bücher wurden in mehrere Sprachen übersetzt: „Ich bin weder perfekt noch kann ich mit einem imposanten Äusseren auftrumpfen, aber ich erreiche und berühre mit meinem Yoga sehr viele Menschen“, freut sich die in Winterthur lebende Yogafrau: „Was ich kann, können andere auch erreichen!“ ist sie überzeugt. „Natürlich war ich nie das Heimchen am Herd, unsere Ehe blieb kinderlos und glücklicherweise ist mein Mann sehr selbstständig“. So konnte sie auch für das 2007 erschienene Buch „Mantra-Praxis“ ungestört forschen und wertvolles Wissen zusammentragen. Unterstützt wurde sie dabei sowohl vom indischen Yogalehrer Mansoor und eine Sanskrit Gelehrtengruppe in Delhi als auch vom deutschen Indologen, Religionswissenschaftler und Yogalehrer Dr. Christian Fuchs
Neben dem Bücherschreiben und dem Yogaunterricht war sie lange Zeit regelmässig als Referentin für angehende Yogalehrende in Deutschland tätig. Ihre Fähigkeit, Theorie und komplexes Wissen praxisnah weiterzugeben, wurde gerne in Anspruch genommen. Diese Tätigkeit hat sie deutlich reduziert nach einem schweren Schlittelunfall im Jahr 2000. Sie zog sich einen vierfachen Beckenbruch zu und musste 10 Monate pausieren. Dafür habe sie dann bei den nachfolgenden Röntgenaufnahmen realisiert, dass ihre Gelenke keine arthrotischen Veränderungen mehr zeigten, wie 20 Jahre zuvor! Sie schreibt das ihrer regelmässigen Yogapraxis zu.
Heute unterrichtet die Powerfrau noch regelmässig zwei Lektionen pro Woche, stellt sich als Supervisorin für angehende Yogalehrende zur Verfügung, gibt ihr Wissen einer rückengerechten Yogapraxis in Einzelberatungen weiter, engagiert sich bereits wieder für ein neues Hilfsprojekt und ist für telefonische Kurz-Beratungen jeden Montag von 9.00 bis 12.00 Uhr präsent.
Mittlerweile sei sie viel mutiger geworden und ermuntere auch mal jemanden zu einen „Gespräch mit Gott“. Den Aspekt des Ishvarapranidhana, der Hingabe an etwas, das grösser ist als wir, baue sie mit einer natürlichen Selbstverständlichkeit auch in ihren Yogaunterricht ein. Ebenso zieht sie sich regelmässig zurück für buddhistische Meditationsübungen und schaltet bewusst Ruhezeiten ein. Das ist der Ausgleich zu ihren vielfältigen Tätigkeiten.
Verbringt man einen Nachmittag mit Gertrud Hirschi, würde man kaum denken, dass hier eine 68 jährige Frau vor einem steht. Man kann sich lebhaft vorstellen, dass manch ein jüngeres Wesen neben diesem Energiebündel uralt aussieht. So ist sie das beste Beispiel dafür, dass Yoga wirkt – und wie!